Zweifach oder dreifach? Die Brennblasen von Annandale

Im Süden von Schottland, in den Lowlands, liegt die alte Annandale Distillery, die vor kurzem wieder neu eröffnet wurde. Während der Sanierungsarbeiten ereignete sich ein Glücksfall -  man stieß auf die Fundamente der alten Brennblasen. Und natürlich wirft dies sofort die klassische Frage auf: wurde in den Lowlands tatsächlich immer dreifach gebrannt, wie so oft behauptet wird? Alte Unterlagen bringen eine unerwartete Antwort zu Tage. Und auch ansonsten gibt es einige Dinge über die Annandale Distillery zu entdecken, die in Vergessenheit geraten waren.


Die Annandale Distillery in den Lowlands im Süden von Schottland ist unbedingt einen Besuch wert. Sie hat eine bewegte Geschichte hinter sich, und war fast ein ganzes Jahrhundert lang stillgelegt, ehe sie 2014 wieder strahlend auferstand. Die Fundamente der alten Brennblasen, die man bei den Sanierungsarbeiten gefunden hatte, kann man heute besichtigen.

Sie geben uns eine gute Vorstellung davon, wie die Brennereien vor 1900 wohl ausgesehen hatten. Schon auf den ersten Blick ist augenfällig: es gab nur zwei Brennblasen, keine drei, wie man das von einer Lowland Distillery eigentlich erwarten würde. Das hat mich neugierig gemacht, und ich habe in alten Dokumenten gewühlt, in der Hoffnung, etwas mehr über die Brennblasen zu erfahren.

Am Ende habe ich tatsächlich eine überraschende Antwort gefunden. Und ganz nebenbei noch die Geschichte der Brennerei recherchiert.

Anfänge: Die Annandale Distillery Company 


Die Annandale Distillery in der Nähe des Ortes Annan bei Dumfries ist nicht nur gut erhalten, sondern auch recht gut erforscht, wenngleich ihre Ursprünge noch etwas obskur sind.

Angeblich wurde die Brennerei 1830 von einem gewissen George Donald gegründet. Doch in alten Steuerlisten von 1831-1834 taucht die Brennerei nicht auf, es wurde in diesen Jahren also nachweislich keine Brennlizenz erworben. Und auch sonst gibt es ein paar Probleme mit dieser Jahresangabe.

Tatsächlich wurde die Brennerei einige Jahre später von einem Konsortium gegründet. Diesem Konsortium gehörten neben George Donald auch verschiedene Händler und wohlhabende Bürger aus der Region an. Die Annandale Distillery Company war vermutlich eine relativ  kapitalstarke Gesellschaft; und die Brennerei hatte allem Anschein nach auch eine ordentliche Größe.

Doch 1830 befand sich George Donald, die treibende Kraft hinter diesem Konsortium, noch in Sanquhar, einer Nachbargemeinde von Annan, wo er als Steuerbeamter eine Anstellung hatte. Im Juni 1831 gelang ihm dort ein guter Fang, der es sogar bis in die Zeitungen schaffte.

Ein Hogshead-Fass, das mit Zucker befüllt schien, weckte Donalds Verdacht. Bei näherer Untersuchung stellte er fest, dass das Fass randvoll mit geschmuggelter Seife aus dem Ausland war, die damals sehr stark besteuert wurde. George wird sich über diesen beruflichen Erfolg sicher sehr gefreut haben. Ob in der Folgezeit die Einwohner von Sanquhar mit ungewaschenen Hälsen und Füßen herumlaufen mussten, ist allerdings nicht überliefert.




George Donald, der ursprünglich aus Banff stammte, befand sich 1831 also nicht in Annan, sondern in Sanquhar. Er war zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt, seit 3 Jahren mit Margaret Corsan verheiratet und hatte zwei kleine Töchter, die beide in Sanquhar zur Welt kamen.

1832 war Margaret wieder schwanger und George war auf der Suche nach einem passenden Zuhause für seine wachsende Familie. Schließlich pachtete er die Warmanbie Farm in der Nähe von Annan, wo Tochter Margaret im Januar 1833 geboren wurde. Hier sollte schon bald seine Brennerei entstehen.

Doch es scheint, dass ihm für eine Brennerei das Geld fehlte. Zusammen mit sieben weiteren Geschäftspartnern gründete er deshalb Anfang der 1830er Jahre die "Annandale Distillery Company". Irgendwann zwischen 1835 und 1839 muss es dann endlich los gegangen sein mit der Destillation.

Nach weiteren vier Kindern und einige Jahre später findet sich schließlich die erste Erwähnung der Annandale Distillery: im Mai 1839 werden mehrere "Bullocks and Heifers", also Ochsen und Färsen, in der Annandale Distillery öffentlich versteigert. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei um Schlachtvieh, das mit den Rückständen aus dem Destillations-Vorgang, dem sogenannten Draft, den Winter über gemästet worden war. 

 

Die 1840er und 1850er Jahre waren keine gute Zeit für Single Malt. Zum einen machte die Kartoffelfäule, die in Schottland ihren Höhepunkt zwischen 1846 und 1856 hatte, den Farmern das Leben schwer. Zum anderen flutete vermehrt billiger Grain Whisky in die urbanen Zentren des Landes und sorgte dafür, dass deutlich mehr Whisky produziert als konsumiert wurde. 

Doch irgendwie schaffte es George Donald, die Annandale Distillery in den 1840er Jahren profitabel zu bewirtschaften. Sein gesellschaftliches Ansehen stieg im Laufer der Zeit ebenso wie die Zahl seiner Kinder. Als 1852 sein dreizehntes und letztes Kind zur Welt kam, war seine älteste Tochter Agnes bereits seit vier Jahren verheiratet. So manche Hochzeit wurde in den folgenden Jahren in der Brennerei gefeiert, und wir irren uns sicher nicht, wenn wir annehmen, dass bei diesen Gelegenheiten der Whisky reichlich geflossen ist.

1857

Zweieinhalb Jahrzehnte betrieb George im Namen der Annandale Distillery Company die Brennereigeschäfte. Dann kam es zu einer bedeutenden Umstrukturierung. Die Gesellschaft wurde mit Wirkung vom 31. Dezember 1855 aufgelöst, und George Donald übernahm alle Aktienanteile seiner ehemaligen Geschäftspartner. 

George Donald, Warmanbie Distillery


Eine Karte von 1857 zeigt, dass die Brennerei damals bereits beachtliche Ausmaße hatte. Unmittelbar hinter der Brennerei befand sich die Warmanbie Farm mit Vieh- und Schweineställen, Wohnhaus und einem großzügigen Garten. Alte Dokumente enthüllen, dass George Donald damals fünf Arbeiter in seiner Brennerei beschäftigte und im Durchschnitt etwa 20.000 Gallonen Whisky pro Jahr produzierte. Wie damals üblich, hatte George das Anwesen nur gepachtet; Besitzer war Alexander Carruther, der im nahegelegenen Warmanbie House residierte.

Die Einheimischen taten sich jedoch etwas schwer mit dem offiziellen Namen  "Annandale Distillery". Noch viele Jahrzehnteland wurde die Brennerei, die auf demGelände der Warmanbie Farm errichtet wurde und am  "Warmanbie Burn" liegt, auch als "Warmanbie Distillery" bezeichnet. 

 

Die nächsten zweieinhalb Jahrzehnte betrieb George Donald nun als alleiniger Geschäftsführer die Annandale Distillery, doch Kapital für neue Investitionen hatte er nicht.  1872 beschäftigte George nur noch 4 Arbeitskräfte in der Brennerei, verbrauchte 100 Tonnen Kohle pro Jahr und produzierte nur noch 5.000 Gallonen Alkohol.

Die Brennblasen


Der größere Teil der Kohle wurde benötigt, um die Brennblasen anzufeuern, deren Fundamente und Brennöfen man heute noch auf dem Gelände der Annandale Distillery sehen kann. Und natürlich stellt sich sogleich die Frage, ob denn nun in Annandale auch dreifach gebrannt wurde, wie es angeblich für die Lowlands so typisch war.

Die heutigen Überreste auf dem Brennereigelände zeigen eindeutig, dass in der Annandale Distillery nur zwei Brennblasen standen. Aber wurde auch nur zweifach gebrannt? Ihr werdet euch noch ein paar Sätze gedulden müssen, ehe wir eine Antwort auf diese Frage finden werden.

Fast fünfzig Jahre, von ca. 1835 bis 1883, hat die Annandale bzw. die Warmanbie Distillery George Donald gehört, zunächst als Teilhaber, dann komplett. Doch irgendwann war es Zeit, das Staffelholz weiter zu geben.

1881 hatten die zahlreichen Kinder längst die Warmanbie Farm verlassen, nur Sohn George, inzwischen 35 Jahre alt, lebte noch hier mit seinen Eltern sowie zwei weiblichen und zwei männlichen Hilfskräften für Haushalt, Farm und Brennerei.

J.S. Gardner & Son, Liverpool


1883, ein Jahr vor George Donalds Tod, wurde die Brennerei einschließlich der 90 Acres großen Farm von J.S. Gardner aus Liverpool übernommen. Die 1880er Jahre waren Boom-Jahre für die Whisky-Industrie. Brennereien warfen jetzt satte Gewinne ab und auch die neuen Besitzer der Annandale Distillery waren bereit zu investieren.

1898

Die Gardeners modernisierten die komplette Brennerei und erhöhten sogleich die Produktion. Ein Zeitungsartikel von 1885 gibt uns einen interessanten Einblick in die damalige neue Anlage, zu der auch eine Viehfarm mit etwa 20 Rindern und Schweinen gehörte. Und hier finden auch die gesuchte Information, ob denn nun zweifach oder dreifach gebrannt wurde: die Brennerei hatte tatsächlich nur zwei Brennblasen, und üblicherweise wurde zweifach gebrannt. Aber: wenn der Alkohol nach der zweimaligen Destillation im Spirit Safe ankam und als "nicht ausreichend rein" befunden wurde, dann wurde die Charge einfach noch ein drittes Mal gebrannt.

Mich hat diese Information sehr überrascht - euch auch?

 

Auch der übrige Teil des Berichts ist lesenswert:

"Passing into the distillery, we were first taken to the granary, where the barley is stored on arrival. Mr Gardner told us that he used little else than barley that has been grown in the immediate district. There was a large quantity of it in bags. Proceeding into the malting house, we found the floor filled with layers of grain in the various stages of malting. An elevator is used for the transfer of the grain from one part of the building to another. We were next shown the process by which the malt is converted into the “hard stuff," and some description of it may be interesting. When the final stage of malting has been reached, the malt is put into huge metal vessel called a “mash tun," into which boiling water is also put in the necessary proportion. In this the mixture is stirred about until it is formed into “mash.” The quantity of mash usually manufactured at one operation is 14,000 gallons. The refuse is drained off, while the liquid is pumped into what is called “wort receiver,” and after being cooled in a refrigerator, in which the liquid flows one way and cold water another, it is run into “fermenting backs," of which there are four, each holding 3.500 gallons. Is then run out into the “wash charger,” whence it passes into the “still,” where the process of distillation is effected.


The “spirit," as the product may now be called, is carried outside and passed through “ worm tubs,” filled with cold water, where it is cooled and condensed. Then it is brought into the interior again and made pass through the “spirit safe” where it is exposed to view behind a glass screen and may be tested. It is then sent back through the second or “tack still,” and if on again passing through the safe is found not to be sufficiently pure, it is sent through the still a third time. The whole of the movement of the liquid from the time it leaves the wort receiver is effected by gravitation, each vessel being so fixed that its contents can be run off into the next one. The vessels are all under lock and key, so that none the contents can be extracted. The only point at which the spirit is visible is when it flows into the spirit safe." Annandale Observer and Advertiser, Friday 30 January 1885
 

Während der Zeit von George Donald wurde die Brennerei nur durch Wasserkraft angetrieben. Noch immer kann man Hinweise auf die Schleusen und Mühlradbefestigungen aus der damaligen Zeit finden. Die Antriebskraft des Wassers wurde benötigt, um das Gerstenmalz zu mahlen, die Zinken im Maischebottich zu drehen und die Rummager in den Brennblasen zu bewegen.

Pumpen waren nicht vonnöten: Der Lauf der Flüssigkeiten durch die verschiedenen Phasen des Herstellungsprozesses erfolgte nur durch die Schwerkraft.

Als die Gardeners die Brennerei übernahmen, war sie zwar noch gut in Schuß, aber ihr Ausstoß war eher gering, und die Ausrüstung  längst veraltet. Die neuen Besitzer nahmen eine gründliche Renovierung vor und ersetzten sämtliche Maschinen und Anlagen.



Selbst das gußeiserne Wasserrad, das einen Durchmesser von 16 Fuß hatte, wurde im Januar 1885 durch eine neue Turbine ersetzt. Um auch in regenarmen Zeiten genügend Energie zu haben, installierte man zusätzlich einen 12-PS-starken Motorantrieb.

Auf einer alten Fotographie sind die beiden Schornsteine und das Turbinen-Rad gut zu erkennen. Die Schornsteine sind allerdings viereckig; der heute noch existierende Schornstein wurde wohl erst später erneuert.

Auch die beiden alten Lagerhäuser sind in der Fotografie gut zu sehen. Sie waren ursprünglich nur einstöckig und hatten zu meiner Überraschung eine Gewölbedecke. Ihr Verlauf ist noch heute deutlich in der Giebelwand des Lagerhauses zu erkennen. Man hat später einfach ein zweites Stockwerk aufgesetzt. Deutlich erkennbar ist der regelmäßige Fugenverlauf des neuen Mauerteils, im Gegensatz zu den unregelmäßig behauenen Steinen des unteren Stockwerks, das sehr viel älter ist.



Auch der legendäre Whisky-Schriftsteller Alfred Barnard besuchte bald danach die Annandale Distillery im Rahmen seiner Tour durch die Whisky-Brennereien des Vereinigten Königreichs. Seinen Beschreibungen verdanken wir viele Details über die damalige Brennerei.

Besonders interesant ist Barnards Hinweis auf Torf: "Das Malz wird mit Aufzügen zum Kiln am Ende der Mälzscheune gebracht, der mit Drahtgewebe ausgelegt ist und mit Torf erhitzt wird." Auch in den Lowlands wurde damals das Gerstenmalz noch mit Torf hergestellt, der Whisky war also "peated".

Die Brennerei hatte damals einen Ausstoß von ca. 30.000 Gallonen.

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John Walker & Son Ltd.


1893 wurde die Annandale Distillery von John Walker & Son Ltd. übernommen, die erst kurz zuvor Cardow/ Cardhu erworben hatten. Während Cardhu bis heute im Johnnie-Walker-Konzern verblieben ist, war Walkers Engagement in Annandale relativ kurzlebig und die Pläne der Firma, Annandale zu erweitern, wurden nicht mehr verwirklicht.

Anders als die George Donald und nach ihm die Gardeners lebten die neuen Besitzer nicht mehr auf dem Gelände der Brennerei. Sie verwalteten ihren Besitz nur noch aus der Ferne. 

Schon bald nach der Jahrhundertwende ging die große Zeit der Whisky-Produktion zur Neige. Die Wirtschaftskrise des ersten Weltkrieges und die anschließende Zeit der Prohibition in den USA führten zu großen Produktions- und Absatzeinbußen. Die John Walker & Son Ltd. machte mit Annandale kurzen Prozeß.

Annandale wurde wahrscheinlich gegen 1924 stillgelegt.

1929

Neubeginn: 


Die Destilleriegebäude waren in einem bedenklichen Zustand, als sie 2007 von der neu gegründeten Annandale Distillery Company Limited erworben wurden. Viel harte Arbeit war nötig, um die Bausubstanz zu retten. Inzwischen ist die Annandale Distillery ist ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude der Kategorie B, und die Brennerei wurde aufwändig saniert.

Früher hätte man alle Gebäude weiß getüncht. Aber auch mit den roten Ziegelsteinen bietet die Anlage mittlerweile einen erfreulichen Anblick.

Und seit 2014 wird hier auch wieder Whisky produziert. Und wie es sich für eine Lowland-Brennerei nach heutigem Verständnis gehört, muss die Brennerei natürlich auch drei Brennblasen haben für die Triple Distillation - oder vielleicht etwa nicht?

Die Antwort auf die Frage nach den Brennblasen ist heute genau so überraschend wie vor hundert Jahren - nur mit vertauschten Zahlen. Tatsächlich stehen heute drei Brennblasen in der neuen Annandale Distillery. Doch gebrannt wird nur zweifach - um einen möglichst großen Kupferkontakt zu erreichen, gibt es eine Wash und zwei Spirit Stills.

Und da früher bei Annandale das Malz mit Torf getrocknet wurde, gibt es heute bei Annandale neben einer ungetorften auch eine getorfte Variante.

Die Geschichte geht also weiter....


Gegründet: Gründungsdatum obskur. Angeblich 1830 gegründet, aber von 1831-1834 taucht Annadale nicht in den Steuerlisten auf, es wurde in dieser Zeit also nachweislich keine Brennlizenz erworben. George Donald ist frühestens 1832 nach Annandale gekommen.

Frühester Nachweis: Mai 1839 (Viehverkauf Annandale Distillery); November 1848: George Donald, Esq., Distiller, Annan (Hochzeit von Tochter Agnes)

Besitzer: Annandale Distillery Company (1832?-1855, when dissolved);  George Donald (1855-1883); J.S. Gardner & Son (1883-1896); J.Walker & Sons Ltd. (1896- ca. 1821); Annandale Distillery Company (David Thomson, Teresa Church; seit 2014)

erneuert: 1887 und 2014

Heutige Ausstattung:
Mash tun -- 2.5 tonnes (semi-Lauter - Forsyths)
Washbacks -- 6 à 12,000 Liter (wooden)
Wash Still -- 1 à 12,000 Liter (Forsyths)
Spirit Stills -- 2 à 4,000 Liter (Forsyths)
 
Ausstoß:
1872: 5.000 Gallonen Alkohol
1885: 30.000 Gallonen
2018: 250.000 Liter Alkohol pro Jahr

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