Mit Rohzucker gefüllte Hogsheads werden von Antigua nach London, Bristol und Glasgow verschifft, Clark, ca.1823 |
Die Zuckerinsel
Beginnen wir unsere Spurensuche dort, wo der Rohstoff angebaut wurde, der für Rum benötigt wird: in der Karibik. Heute spielen die "Inseln über dem Wind" (St. Kitts, Nevis, Antigua, Montserrat, Dominica) bei der Rum- und Zuckerherstellung nur noch eine untergeordnete Rolle. Das war vor über dreihunder Jahren ganz anders. Die kleinen Antillen waren das frühe Zentrum der britischen Zucker- und Rumproduktion. Doch die Plantagenbesitzer kamen nicht nur aus England. Auch die Schotten hatten hier recht schnell einen Fuß in der Tür.
Schon ab 1603 wurden die Inseln St. Kitts und Nevis von Großbritannien aus besiedelt, und 1623 ließ sich eine Gruppe von Kolonisten unter der Obhut des schottischen Lord James Hay of Kinglassie auf St. Kitts nieder. Die benachbarten Inseln Antigua und Montserrat wurden ab 1632 kolonialisiert. Bald stellten sich erste wirtschaftliche Erfolge ein, und bereits in den 1640er Jahren segelten schottische Schiffe vom Clyde regelmäßig zu den kleinen Antillen, um enge Handelsbeziehungen mit der Karibik aufzubauen. Als die beiden Schotten James Milliken und William McDowall Mitte der 1690er Jahre auf der Karibik-Insel Nevis ankamen, war der Zuckerrohr-Anbau dort fest etabliert, und die Insel verfügte nach jahrzehntelanger britisch-französischer Siedlungstätigkeit bereits über eine beachtliche Infrastruktur.
In der Frühphase der Kolonialisierung experimentierten die Neusiedler zunächst mit einer Vielzahl von verschiedenen Feldfrüchten und Tabak. Der Durchbruch kam in den 1660er Jahren, als man erste Erfolge mit dem Anbau von Zuckerrohr erreichte. Auch Schottland profitierte von diesem wirtschaftlichen Fortschritt in der Karibik. Schon 1669 wurde in Glasgow das erste "Zuckerhaus" errichtet, um den Rohzucker aus der Kolonie zu weißem Feinzucker weiter zu verarbeiten. Innerhalb weniger Jahren eroberte das Zuckerrohr alle karibischen Inseln.
In der schottischen Heimat schossen im gleichen Zeitraum eine Vielzahl von Zucker-Raffinerien aus dem Boden, die sich entlang des Clyde ansiedelten. Einer der bekanntesten Zuckerrohr-Pflanzer war damals der Schotte William Colhoun, der seit 1680 Zucker von St Kitts nach Glasgow verschiffte. Doch es sollte das Verdienst von Milliken und McDowall sein, dass Glasgow im 18. Jahrhundert zum bedeutensten Zucker-Umschlagplatz in Großbritannien wurde. Damit einher ging auch eine ausgedehnte Rum-Produktion. Doch bevor wir uns den damals entstandenen Rum-Destillen am Clyde widmen, wollen wir zunächst noch einen tieferen Blick auf die Karibik werfen, wo die Grundlagen für die schottische Rumproduktion gelegt wurden.
Ehemalige Siedepfannen einer Zuckerrohrplantage (.New River plantation, Nevis). International Slavery Museum, Liverpool.. |
Die dunkle Seite der Macht
Die ersten Siedler auf Nevis waren einfache Farmer gewesen, die ihre Anwesen mit Hilfe von irischen und schottischen Zwangsarbeitern bewirtschafteten, die zum großen Teil gewaltsam auf die leeward gelegenen westindischen Inseln gebracht worden waren. Doch nur wenige von ihnen kamen mit der extrem harten Arbeit in tropischer Hitze zurecht. Für die Bewirtschaftung der Zuckerrohrplantagen musste man eine andere Lösung finden, und ab den 1660er Jahren wurden versklavte Afrikaner zu tausenden über den Atlantik verfrachtet, um sie auf den Sklavenmärkten an die Plantagenbesitzer aus London, Bristol oder Glasgow zu verkaufen. 1680 lebten etwa 1.500 Weiße auf St. Kitts, und ebensoviele versklavte Arbeitskräfte aus Afrika. 1720 betrug die Zahl der weißen Siedler 2.740 Personen, denen 7.321 Sklaven gegenüber standen. Die Antillen-Inseln "über dem Wind" waren schon bald besonders berüchtigt für die harte Behandlung der Sklaven, und mehr als 40% der Neuankömmlinge aus Afrika starben hier innerhalb eines Jahres.
Zuckerrohr-Ernte. Quelle unbekannt. |
Einer der Gründe für die extrem harten Bedingungen lag wohl in der Art und Weise der Landvergabe. Anders als in den nordamerikanischen Kolonien wurde das Land hier nicht zum Verkauf angeboten, sondern konnte von den Neusiedlern nur auf unbestimmte Zeit gepachtet werden. Fiel man in Ungnade bei der Obrigkeit, konnte der Gouverneur der Inseln die Ländereien jederzeit einziehen und einem Mitbewerber zusprechen. Ein solches Landvergabesystem bietet nur wenig Anreiz, langfristige Investitionen zu tätigen und sich dauerhaft anzusiedeln. Die Motivation der Siedler war hingegen hoch, die Plantagen möglichst schnell optimal auszubeuten, und dann mit dem gewonnenen Reichtum nach Hause zurückzukehren. Und reich werden konnte man hier zweifelsohne.
Zuckerkocher im Siedehaus, Antigua. Links die Siedepfannen, rechts die Kühlbecken. William Clark, ca. 1823 |
Erst in jüngerer Zeit hat die schottische Geschichtsforschung angefangen, die Rolle von Schotten bei der Kolonialisierung zu untersuchen. Das traditionelle Bild, dass die koloniale Macht nur in den Händen von Engländern lag, muss inzwischen revidiert werden. Schon lange vor dem Zusammenschluß von Schottland und England im Jahr 1707 war eine Vielzahl von Schotten mit großem wirtschaftlichem Erfolg in den neu gewonnenen britischen Kolonien unterwegs, und nicht wenige von ihnen wurden gesellschaftlich hoch geachtete Mitglieder der neu entstandenen britischen "Plantocracy", der Plantagen-Aristokratie. Sie sollten später die Entwicklung von Glasgow entscheidend mit beeinflussen und mit dazu beitragen, dass Glasgow zur zweitmächtigsten Stadt im Britischen Empire aufsteigen konnte - und sie halfen mit, dass Rum in den folgenden Jahrzehnten einen Siegeszug rund um die Welt antreten konnte. Folgen wir also noch eine Weile ihrer Karriere als Plantagenbesitzer.
Männer wie William Colhoun wurden zum Türöffner für die zweite Generation von jungen Schotten, die in der Karibik ihr Glück versuchten. Unter ihnen befanden sich auch Major James Milliken und Colonel William McDowall. Beide Männer waren kurz nach der Phase der Restauration geboren, und befanden sich 1707 auf dem Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten. Beide begannen ihre Karriere Mitte der 1690er Jahre als Lehrlinge auf Zuckerrohr-Plantagen auf der Insel Nevis. Die großen Plantagen setzten damals bereits hunderte von Sklaven zur Feldarbeit ein, und es war die Aufgabe der jungen Schotten, die auf der Insel ankamen, die Sklavenarbeit zu kontrollieren und für eine maximale Ausbeute bei der Zuckerproduktion zu sorgen.
Plantage auf den Westindischen Inseln. Rechts die Windmühle, links die Sklavenunterkünfte.Quelle unbekannt |
Als James Milliken die Witwe des verstorbenenen Plantagenbesitzers Thomas Tovey heiratet, gelingt ihm der Sprung vom Plantagen-Aufseher in die höheren Gesellschaftskreise der Insel. 1707 besaß er eine beachtliche Plantage auf Nevis mit 112 Sklaven. Da viele der englischen Plantagen-Besitzer den größten Teil ihrer Zeit in der britischen Heimat verbrachten und nur selten auf ihren Plantagen weilten, gelang es Milliken in den folgenden Jahren, als Verwalter für die abwesenden Landlords seinen Einfluß und sein Vermögen gewaltig zu steigern.
Battle of St. Kitts, 1782. Blick von Nevis auf St. Kitt's. Im Vordergrund Plantagenanlagen auf Nevis |
Auch William McDowall konnte seinen Einfluß weiter ausbauen und 1707 bewirtschaftete er eine kleine Plantage auf St Kitts. Dazu erwarb er zunächst ein dutzend Sklaven, denen schon bald hunderte von weiteren Sklaven folgen sollten. McDowall und Milliken waren nicht die einzigen Schotten, die vor 1707 - dem offiziellen Jahr der Union - auf den kleinen Antillen ankamen, doch sie sollten in späteren Jahren sehr einflußreich werden. 1712 erhielt McDowall eine große Zuckerplantage bei Canada Hills zugesprochen, die sich zuvor in französischem Besitz befunden hatte. Die Plantage war etwa zwei Meilen von der Hauptstadt Basseterre entfernt und umfasste ein stattliches Wohnhaus, zwei Mühlen, Siedehaus, Trockenhaus und Brennhaus. Um sie zu bewirtschaften, waren 120 Sklaven vonnöten. Auch Milliken erhielt eine ehemals französische Plantage auf St Kitts, die an der westlichen Seite des Monkey Hills befand, und siedelte in der Folgezeit mit seiner Familie von Nevis nach St. Kitts über.
Grundriss einer Zuckerrohrplantage (Betty's Hope, Antigua). Links das Wohnhaus (The Buff), rechts die Produktionsanlagen mit Windmühlen, Siedehaus, "Curing House", und Brennerei. |
Dank intensiver wissenschaftlicher Forschungsarbeiten der jüngeren Vergangenheit wissen wir inzwischen recht genau, wie sich das Leben und Arbeiten auf den Zuckerplantagen damals gestaltete. Gut dokumentiert sind beispielsweise die Plantagen "Betty's Hope" auf Antigua, "New River" auf Nevis oder "Wingfield Estate" auf St. Kitts.
Der härteste Teil der Feldarbeit bestand darin, das Land von der ursprünglichen Vegetation zu befreien und das Zuckerrohr anzupflanzen. Diese Arbeit erforderte wenig Vorkenntnisse, und es wurden zumeist jene Sklaven eingesetzt, die neu auf der Insel angekommen waren. Sie standen in der Hierarchie der Plantage an unterster Stelle, und litten unter der höchsten Sterblichkeitsrate. Feldsklaven arbeiteten zumeist in kleinen Gruppen von jeweils 10 Personen, die von einem weißen Aufseher überwacht wurden. Zur Erntezeit wurde das Rohr von Hand geschnitten. Dabei war es wichtig, das Rohr knapp über dem Boden abzuschneiden, da hier die Saccharose-Konzentration am höchsten war. Gute "Rohrschneider" waren sehr angesehene und erfahrene Sklaven, denn von ihrer Arbeit hing die Höhe des Ertrags in entscheidendem Maße ab.
Windmühle einer Zuckerrohrplantage auf Antigua. Im Hintergrund Rauch aus dem Schornstein des Siedehauses, William Clark, ca. 1823 |
Nach dem Schnitt mußte das Zuckerrohr innerhalb von 24 Stunden zur Plantagenmühle gebracht und gepresst werden, da es andernfalls zu gären begann. Oft mussten die Sklaven die ganze Nacht durcharbeiten, denn je schneller das Rohr gepresst wurde, desto höher war der Ertrag. Angetrieben wurden die Mühlen in der Anfangsphase von Ochsen, später wurden Windmühlen zum vorherrschenden Energielieferant. Das Zuckerrohr wurde zwischen großen Stein- oder Metallzylindern gepresst, und musste von Hand eingeschoben werden.
Diese Arbeit war sehr gefährlich, denn wenn nur ein Finger zwischen die steinernen Rollen geriet, so zog die Maschine meist auch den Rest des Körpers hinein. Bei jeder Mühle hing aus diesem Grund an der Wand eine Axt, um im Notfall den Arm des unglücklichen Mühlenarbeiters, der von den Mühlrädern gefangen wurde, abhacken zu können.
Die gepressten Stängel, "Bagasse" genannt, wurden zum Trocknen in die Mühle geworfen, bevor sie als Brennstoff in den Siede- und Destillationsöfen verwendet wurden.
Zuckerrohr-Presse. Quelle unbekannt. |
Der bei der Zermahlung des Zuckerrohrs austretende Zuckerrohrsaft musste jetzt zügig weiter verarbeitet werden, da er in der tropischen Hitze innerhalb von 20 Minuten zu fermentieren begann. Der Saft tropfte in einen Sammelbehälter unter beziehungsweise neben der Mühle und wurde durch einen Kanal zum Siedehaus geleitet, wo sich offene Metall-Pfannen befanden, die von unten beheizt wurden. Die Pfannen waren in einer Reihe von drei bis fünf Stück angeordnet, die jeweils immer kleiner wurden. Hier wurde der Zuckerrohrsaft in mehreren Etappen erhitzt und eingekocht. Dabei entstand ein dicker Schaum, der Scummings oder auch Skimmings genannt wurde, und den man abschöpfte. Am Ende kam der flüssige Zucker aus der letzten Pfanne in Kühlbecken, wo er auskristallisieren konnte.
Die Zuckerköche genossen den höchsten Respekt auf einer Plantage, denn ihre Arbeit verlangte große Fertigkeiten. (Dieser Respekt drückte sich auch in ihrem materiellen Wert aus: Als Ann Hacket, eine Plantagenbesiterin auf St. Kitts, während der französischen Überfälle einen ihrer Zuckerköche namens Jack verlor, machte sie bei ihrer Versicherung einen Schaden von 60 Pfund geltend - mehr als das Doppelte des Standard-Preises - und nannte ihn "a good boyler and clayer of sugar".) Am Ende des Arbeitsprozesses wurde der Sirup in eine große Pfanne zum Kühlen gefüllt.
Danach wurde der Rohzucker viele Wochen in speziellen Gefäßen im Curing House zur "Entwässerung" gelagert. Die französischen Plantagenbesitzer verwendeten dazu meist spezielle Tongefäße, die konisch zuliefen und dem fertigen Zucker die Form eines "Zuckerhuts" gaben.
Auf den britischen Plantagen wurde der Rohzucker in Holzfässer gefüllt, die an speziellen Aufhängungen befestigt wurden. Zuvor hatte man die Fässer mit Löchern angebohrt, und diese Löcher dann wieder mit Blättern des Zuckerrohrs verstopft. An den Blättern entlang konnte eine dunkelbraune, sirupartige Flüssigkeit heraustreten, die sogenannte Melasse. Sie wurde aufgefangen und anschließend als Viehfutter genutzt oder zu Rum destilliert.
Am Ende wurde der trockene Rohzucker in große Fässer (Hogsheads) gefüllt und noch vor Beginn der Hurrikan-Season im Juli nach Großbritannien verschifft.
Nachtschicht vor dem Siedehaus. Bagasse zum Anfeuern der Öfen wird angeliefert. Antigua, William Clark, ca. 1823 |
Höllentrank: "Kill Devil"
Die bei der Herstellung des Rohzuckers als Nebenprodukt entstandene Melasse wurde anfänglich als Viehfutter eingesetzt, doch viele der Plantagen richteten damals auch Brennereien ein, wo die Melasse zu Rum gebrannt wurde. Der dabei entstandene Alkohol muss ein wahrer Höllentrank gewesen sein. Er wurde schon bald unter dem Namen "Kill Devil" bekannt. Als grobe Faustregel galt, dass der Ertrag aus Rum und Molasse die Kosten für die Plantage decken sollte, und der Ertrag aus dem Zuckerverkauf der Reinerlös darstellte. Die Größe des Brennhauses variierte beträchtlich und hing von der Größe der Plantage ab. Meist wurden sie in unmittelbarer Nähe zur Boiling und Curing House errichtet, die Brennblasen hatten im Schnitt ein Fassungsvermögen zwischen 300 und 600 Gallonen, in späterer Zeit fassten sie bis 1.200 Gallonen.
Einer der Nebenprodukte, die bei der Zuckerherstellung entstanden, waren die sogenannten "Scummings", der "Abschaum". Um den Zuckerrohrsaft von Unreinheiten zu reinigen, wurde beim Erhitzen Kalk, manchmal auch Alaunwasser zugefügt, um die Säure des Zuckerrohrsaftes zu neutralisieren. Ein dicker Schaum stieg dann nach oben und nahm alle mechanischen Unreinheiten mit an die Oberfläche, wo dieser Schaum abgeschöpft wurde. Bei der Destillation wurden außer Melasse auch diese "Scummings" und mitunter auch reiner Zuckerrohrsaft verwendet. Um eine gleichmäßige Fermentierung zu erreichen, wurde auch häufig der "Dunder", also jene Flüssigkeit, die beim Destillieren in der Brennblase zurückblieb, mit zur Maische gegeben.
Die "Vinaigrerie" (Nr.4) Hier wurden die Scummings destilliert.Ca, 1654 |
Wann genau zum ersten Mal Rum auf den Karibischen Inseln destilliert wurde, ist nicht genau überliefert. Jean-Baptiste du Tertre, der Martinique in den 1640er Jahren besuchte, beschrieb 1654 in seinem Buch "Histoire générale des îles Saint-Christophe, de la Guadelupe, de la Martinique et autres de L'Amerique" eine einfache Brennanlage, die er "Vinaigrerie" nannte. Sie wurde von Sklaven betrieben, die hier aus den "Scummings" Alkohol für ihren persönlichen Konsum herstellten.
Es war auf den Plantagen durchaus üblich, dass die Scummings aus der ersten Pfanne, die noch viele Unreinheiten enthielten, als Viehfutter verwendet wurden, während die Scummings aus den mittleren Pfannen als zusätzlicher Kalorienlieferant an die Sklaven verteilt wurde. Diese Scummings wurden zur Fermentierung in Gefäßen aufbewahrt, bis sie sauer wurden, und eine Art Zuckerrohrwein entstanden war. Der Schritt zum Destillieren war dann nicht mehr weit.
Die Sklaven nannten diese Scummings übrigens "Cachaça" bzw. Cagaça. Erst in späteren Jahrzehnten wurde der Begriff auch auf das Destillat übertragen, das aus den Scummings gewonnen wurde. Heute wird mit diesem Begriff eine brasilianische Rumart bezeichnet, die aus Zuckerrohrsaft hergestellt wird und als brasilianisches Nationalgetränk gilt.
Sklaventröster, Freiheitskämpfer und Globetrotter
Vielleicht stand die "Wiege" der Rumproduktion tatsächlich in Brasilien. Vielleicht hatten tatsächlich die frühen portugiesischen Zuckerrohrpflanzer ihre Brennblasen aus Madeira mitgebracht, wie man es gelegentlich in der einschlägigen Literatur lesen kann.
Vielleicht waren es aber gar nicht die Portugiesen, sondern die Holländer gewesen, die von 1624 bis 1654 in Brasilien eine Kolonie unterhielten. Vielleicht haben tatsächlich holländische Zuckerrohr-Planzer, die aus Holländisch-Brasilien vertrieben wurden, nach 1654 die Kunst der Destillation nach Barbados und in die englischen Kolonien gebracht.
Die Interessen der Branntweinproduzenten im Mutterland hemmte schon bald die Entwicklung einer Alkoholindustrie in der Kolonie. 1659 ordneten die Behörden in Lissabon die Zerstörung aller Brennblasen in Brasilien an. Die Maßnahme erwies sich zwar nicht als besonders erfolgreich, und der brasilianische Cachaça entwickelte sich in der Folgezeit zu Brasiliens Nationalgetränk, das vor allem bei den Sklaven, Seeleuten und unteren Schichten beliebt war. Doch ein internationaler Siegeszug rund um die Welt blieb dem brasilianischen Zuckerrohrbrand versagt. Es sollte der bitische Rum sein, der später die Welt eroberte.
Auch in Frankreich wurde die Rumproduktion zugunsten des einheimischen Brandweins geopfert. Als während der lange andauernden Kriege zwischen Frankreich und England (1689-1815) der Import von französischen Waren nach England vom Parlament verboten wurde, hatte diese protektionistische Maßnahme auch große Auswirkungen auf den Spirituosenhandel. Die französischen Brandy-Produzenten verloren mit England einen wichtigen Absatzmarkt und setzten nun ihrerseits ein Brennverbot für ihre Kolonien durch, das ihren Brandy vor französischem Übersee-Rum schützen sollte. Es war für lange Zeit das Ende des französischen Rums.
Die französischen Zuckerproduzenten verkauften als Folge ihre nun für sie nutzlos gewordene Melasse zu günstigen Preisen und in großen Mengen an ihre nordamerikanischen Nachbarn, die nun ihrerseits selbst riesige Mengen an illegalem Rum brennen konnten, statt den Rum teuer aus den britischen Kolonien einführen zu müssen. Die große Zeit der Rum-Schmuggler begann.
Der Ärger mit dem britischen Mutterland ließ nicht lange auf sich warten, und mit dem Melasse-Gesetz von 1733 erhob man zusätzliche Steuern bei der Einfuhr von französischer Melassen. Damit goß die britische Regierung jedoch Öl in das Feuer der amerikanischen Freiheitskämpfer. Es war nicht nur die Teesteuer, die den Widerstand der amerikanischen Siedler gegen die britische Obrigkeit schürte. Doch das ist wieder eine andere Geschichte. Kehren wir zurück zu den englischen und schottischen Rum-Destillateuren in der Karibik.
Curing House und Still House einer Plantage auf Antigua, William Clark, ca. 1823 |
Schon bald hatten viele Plantagen auf den karibischen Inseln Brennhäuser eingerichtet. 1750 wurden bereits 4,5 Millionen Liter Rum auf die Britischen Inseln exportiert. Die Brennmethoden variierten dabei zwischen den Inseln. Vor allem bei der Fermentierung der Molasse gab es Unterschiede.
Auf den Inseln "unter dem Wind" wurde in Fermentierungs-Zisternen zunächst eine Maische aus 1/3 Scummings, 1/3 Dunder (oder Lees) und 1/3 Wasser angesetzt. Nach 24 Stunden wurden dann 6 Gallonen Melasse auf 100 Gallonen dieser fermentierten Flüssigkeit hinzugefügt. Zwei Tage später wurden noch einmal 7 Prozent Melasse dazugegeben. Nach sechs bis acht Tagen konnte destilliert werden. (Rees, 1819). Der Einsatz von Dunder ist auf Barbados bereits 1707 nachweisbar.
Die britischen Inseln St. Kitts und Nevis kannten solche Fermentierungs-Zisternen nicht. Auf St. Kitts war es hingegen gängige Praxis, Salz oder Meerwasser vor der Destillation hinzuzufügen. Zudem war der Anteil an Scummings auf den Inseln über dem Wind immer deutlich größer als der Anteil an Melasse.
Der irisch-stämmige Plantagenbesitzer Samuel Martin betrieb 1756 eine Plantage auf Antigua. Sein Rum Rezept ist überliefert: ein Drittel Scummings, ein Drittel Waschwasser vom Reinigen der Brennblasen und ein Drittel Dunder wurden zum Fermentieren angesetzt, nach 24 Stunden wurde Melasse zugefügt.
Für Jamaica ist folgende Rezeptur überliefert: "6 gallons of Molasses, 36 gallons of scummings, 50 gallons of dunder, 8 gallons of water" (Thomas Webster, 1845). Um ein feineres Aroma zu erhalten, wurde die Menge des Dunder reduziert. Auf diese Art konnte eine Plantage auf je ein Hogshead (Fass) Zucker zusätzlich etwa 70 bis 80 Gallonen Jamaica Rum proof produzieren.
Archäologische Ausgrabungen konnten auf der Sugarloaf Plantage auf der Insel Dominica, die enge Beziehungen zu St. Kitts und Nevis unterhielt, ein Brennhaus mit angrenzender Zisterne nachweisen. Sugarloaf wurde 1763 von den Iren John Blackall und Nicholas Comyn gegründet. Über den Verwendungszweck der Zisterne ist bisher nichts bekannt. Da Dominica nicht weit entfernt von den westward gelegenen Inseln ist, könnte es durchaus eine Fermentierungszisterne gewesen sein.
Grundriss der Sugarloaf Plantage auf Dominica. Archäologische Ausgrabungen konnten auch ein Brennhaus mit Zisterne nachweisen. Quelle: digital Archaeological Archive of Comparative Slavery |
Heute sind von diesen frühen Rum-Brennereien auf den Inseln über dem Wind nur noch Ruinen übrig, und Archäologen und Heimatforscher haben erst in jüngeren Jahren begonnen, diesen Relikten aus der Frühzeit der Rumproduktion ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Auf der ehemaligen Plantage Wingfield Estate auf St. Kitts wurde 2013 die ehemalige Brennerei aus der Zeit vor 1685 freigelegt, und die Forschungsergebnisse sorgten für eine Überraschung. Die Brennerei gilt als die derzeit älteste, bekannte Rum-Destillerie in der Karibik. Zudem entdeckte man, dass der Rum früher durch eine Bleileitung floss. Das mag vielleicht eine Erklärung dafür liefern, warum damals die Krankheitsrate unter den auf der Insel stationierten Soldaten besonders hoch war; sie litten möglicherweise an einer Bleivergiftung. Den Beinamen "Kill Devil" trug der karibische Rum scheinbar nicht ohne Grund.
St. Kitts, ca. 1782 |
Die frühen Plantagen-Besitzer mussten mit einer Vielzahl von Herausforderungen zurecht kommen. Hurrikane und Dürreperioden gefährdeten immer wieder die Ernte, Skavenaufstände, Piratenüberfälle und Krankheiten machten ihnen das Leben zusätzlich schwer. 1721 sorgte ein neuer Gouverneur für weitere Unruhen, indem er neue Pachtverträge und neue Landverteilungen ankündigte. Auch McDowall musste befürchten, große Teile seiner Plantage zu verlieren, und die nächsten Jahre investierte er sehr viel Zeit in Petitionen an den englischen König, den Duke of Newcastle und andere einflussreiche Persönlichkeiten. Der Einsatz zahlte sich aus, seine Plantage blieb ihm erhalten.
Doch die unsicheren Landbesitz-Verhältnisse auf St. Kitts veranlassten ihn, in seine Heimat zurückzukehren und sein Vermögen in schottische Unternehmen zu investieren. Zunächst erwarb er Shawfield Mansion, Glasgow's älteste koloniale Villa, die 1712 erbaut worden war. Wenig später kaufte er Schloss Semple und ein Großteil von Lochwinnoch, das bis dahin Lord Semple gehört hatte. Doch damit nicht genug: 1726 erwarb er auch Anteile an Daniel Campbell's Zuckerraffinerie in Glasgow, dem "South Sugar House". Wie viele andere Plantagenbesitzer in der Karibik hatte auch McDowall St. Kitts den Rücken zugekehrt und ließ von nun an seine überseeischen Besitzungen von Verwaltern und Verwandten bewirtschaften, um sich stattdessen in der heimischen Zuckerproduktion zu engagieren.
Verlassen wir nun also die Zuckerinsel St. Christopher's, wie St. Kitts früher hieß und begeben wir uns endlich an den Clyde, wo die braune Ware aus der Karibik schon früh das Leben der Menschen versüßen sollte.
Plantage auf Antigua, Union Estate, Mildred Cookson Collection |
---------------------------------
wichtige Quellen:
- Stuart m. Nisbet: Sugar and the early Identity of Glasgow. Glasgow Planters in the Leeward Islands, 1650-1750; Scottish Archives 2013, Volume 19
- Stuart Nisbet: "A sufficient Stock of Negroes". The secret lives of William McDowall of Castle Semple ad James Milliken of Kilbarchan, Renfrewshire Local Hisory Forum
- Universal Dictionary of Arts, Science and Literature
- Dr. Grant Cornwell: Sugar Estates of St. Kitts, 2007
- Liverpool Museum
- British Museum
- Tristan Stephenson: The Curious Bartender's Rum Revolution
- Pierce/Toxqui: Alcohol in Latin America, Tuscon, 2014
Kommentare
Kommentar veröffentlichen