Lost Distilleries: Claypotts und Wester Milton - Zeugen des Umbruchs und der Krisenjahre (Teil I)

Wester Milton war eine Brennerei in den südlichen Highlands, die in der Fachliteratur bis heute vollkommen übersehen wurde. Doch ihr Schicksal ist bemerkenswert - und gibt uns einen tieferen Einblick in die schlimmsten Krisenjahre der schottischen Whiskygeschichte.

Karte von 1864

Niemand weiß genau, wieviele Brennereien in Schottland in der Vergangenheit gegründet wurden und wieder verschwunden sind. Ein paar hundert? Ein paar Tausend? Viele Geschichten von kleinen Farmbrennereien in den Highlands werden für immer im Dunkeln bleiben, verschollen in den Tiefen der Jahrhunderte.

Doch einige Geschichten von Brennereien sind uns gottseidank erhalten geblieben, weil es genügend schriftliche Dokumente über sie gibt, die nur darauf warten, endlich entdeckt zu werden. Diese Geschichten können uns helfen, die Entwicklung der schottischen Whisky-Industrie besser zu verstehen.

Eine solche Brennerei ist die Brennerei Wester Milton zwischen Dunkeld und Blairgowrie in Perthshire.

Sie wird in verschiedenen Quellen zwischen 1814 und 1817 mehrmals erwähnt, so dass wir uns ganz gut ein Bild von ihr machen können. Besitzer war damals ein gewisser Andrew Bullions of Forneth.

Seine Brennerei besaß nur eine einzige Brennblase mit einem Fassungsvermögen von 38 Gallonen. Das mag auf den ersten Blick wenig bemerkenswert erscheinen, doch es gibt uns einen entscheidenden Hinweis auf das Alter der Brennerei.

Schauen wir uns also kurz die steuerliche Gesetzesgebung in den Highlands der damaligen Zeit an: von 1786 bis 1814 war in den Highlands die Größe der Brennblasen auf maximal 40 Gallonen beschränkt,  pro Brennerei war nur eine Brennblase erlaubt, pro Gemeinde nur zwei Brennereien.

Bei Wester Milton handelt es sich also ganz klar um eine jener Brennereien aus der Epoche des sogenannten Wash Acts. Und das macht sie besonders interessant.


Der sogenannte Wash Act von 1784 war unter großen Schmerzen geboren worden, doch nach einigen Reformen folgte ab 1786 eine Periode des relativen Aufschwungs. In den folgenden Jahren standen die Brennereien jedoch immer wieder vor großen Schwierigkeiten, und 1795 sah der Whisky-Himmel nicht nur düster, sondern rabenschwarz aus.

Die Jahre von 1795 bis 1815 waren für die Whisky-Industrie die schlimmste Krisenzeit ihrer Geschichte. Zusätzlich zu einer verfehlten Steuerpolitik machten auch schlechte Erntejahre den Brennereien zu schaffen. 1795-1797, 1800-1802, 1809-1811 und 1813 war das Destillieren von Getreide per königlichem Dekret komplett verboten.

Es war folglich keine gute Zeit, um in die Neugründung einer Brennerei zu investieren. Ganz im Gegenteil. Im Januar 1814 gab es in den gesamten Highlands nur noch 6 lizenzierte Brennereien. Milnton war eine davon.  Die meisten der Highland-Brennereien hatten aufgegeben oder produzierten nur noch illegal.

Wann die Brennerei auf dem Gutshof von Wester Milton tatsächlich gegründet wurde, ist unklar, doch die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Brennerei noch aus der Phase von 1760-1790 stammt.



Karte von 1864


Dass Andrew Bullions bereits 1797 die Farm Wester Milton betreibt, wissen wir aus alten Steuerunterlagen für die Pferdesteuer: in jenem Jahr besaß Andrew drei Pferde, für die er eine Steuer von vier Shilling entrichten musste. Die Steuer, die er 1802 für seinen Landbesitz zahlen musste, schlug mit 96 Pfund schon stärker zu Buche.

Neben der Brennerei und einem komfortablen, großzügigen Wohnhaus befanden sich auf seinem Anwesen auch Geschäftsräume, ein Getreidespeicher, ein Lagerkeller, sowie mehrere Mühlen.

Andrew Bullions ging es mit Sicherheit in jenen Jahren relativ gut. Er war Besitzer eines schönen Landgutes, dessen Erträge und Mieteinnahmen durch die darauf angesiedelten Mühlen ihm und seine Familie ein angenehmes Leben ermöglichten. Als Besitzer eines landwirtschaftlichen Gutshofes genoss er zudem eine gesellschaftlich geachtete Stellung.

Vor allem die vielen Mühlen auf seinem Anwesen und die Brennerei brachten ein erkleckliches Zusatzeinkommen. Doch die große Zeit der Mühlen und der Brennereien ging nach 1800 allmählich ihrem Ende entgegen. Von Jahr zu Jahr verschlechterte sich die Situation, und viele Missernten in jener Zeit machten den Menschen zusätzlich das Leben schwer.

Trotz allen Widrigkeiten scheint es, als habe Andrew Bullions of Forneth seine Brennerei über die Krisenjahre zu Beginn des 19. Jahrhunderts hinweg retten können. 1814 wird das Schicksal seiner Farm jedoch endgültig besiegelt.

In diesem Jahr krempelt die Regierung in London wieder einmal die Steuerregularien gehörig um, und stellt alles auf den Kopf: ein neues Steuergesetz schreibt nun in den Highlands über Nacht den Einsatz von großen Brennblasen mit mehr als 400 Gallonen Fassungsvermögen vor.

Doch Bullions ist nicht mehr in der Lage, die Kosten für eine Neuausstattung seiner Brennerei zu schultern und seine Produktion komplett umzustellen. Die Folgen für ihn sind mehr als nur bitter. Schon bald geht es um seine nackte Existenz.

Im Oktober 1814 muss Andrew Bullions durch die neue Gesetzgebung den Betrieb der Brennerei gezwungenermaßen endgültig einstellen.

Ein halbes Jahr später wird die schimme Vorahnung zur Gewissheit: Andrew ist wirtschftlich am Ende und muss Konkurs anmelden. Bald darauf wird die Wester-Milton-Farm zum Verkauf angeboten. Doch es war keine gute Zeit für Brennereien und Mühlen. Zwei Jahre später hatte sich noch immer kein neuer Käufer gefunden.



Bullions war nicht der einzige, der mit der neuen Brennerei-Vorschrift haderte, und schon bald stand die nächste Gesetzesänderung ins Haus: 1816 wurden kleine Brennblasen wieder zugelassen, die Brennereien konnten über die Größe ihrer Brennblasen nun selbst entscheiden.

Für Andrew Bullions kam diese Steuernovelle zu spät. Sein Konkurs war nicht mehr aufzuhalten.

Doch ein Jahr später finden wir in alten Unterlagen einen gewissen Alexander Bullions, der im wenige Meilen entfernten Claypotts bis 1821 eine Brennerei betrieben hat. 1818 betrug die Jahresproduktion 1450 Gallonen Alkohol, 1821 betrug sie nur noch 333 Gallonen.

In der Fachliteratur wird Andrew Bullions oft der Claypotts Distillery zugeschrieben. Doch das ist schlichtweg falsch, wir haben es hier tatsächlich mit zwei verschiedenen Brennereien zu tun.

Dennoch gibt es eine interessante Parallele: auch Alexander Bullions brannte in Claypotts nur auf einer einzigen Brennblase - mit einem Fassungsvermögen von 40 Gallonen. Denkbar wäre es also, dass es tatsächlich eine Verbindung zwischen Andrew und Alexander Bullions gab. Waren hier Vater und Sohn am Werk? Oder Onkel und Neffe? Vielleicht werden wir es nie erfahren.

Über die Claypotts-Distillery werde ich euch im nächsten Post etwas mehr erzählen. Schauen wir uns jetzt zunächst die Brennerei von Andrew Bullions etwas genauer an.

Alte Karten von ca. 1864 zeigen deutlich die einstige Mühlenlade, an der sich die Mühlen der Milntown of Forneth ansiedeln konnten. Doch man erkennt auch, dass besagte  Mühlenlade 1864 wohl nicht mehr benötigt wurde: sie endet kurz vor einer Getreidemühle  und wurde stillgelegt.

Mit großer Wahrscheinlichkeit verlieft die Lade 1814 direkt an der Mühle vorbei oder sogar unter ihr hindurch, und wurde weitergeleitet, bis sie schließlich im nahegelegenen Lunan Burn ihr Ende fand.

Die Mühlen-Laden der Milton of Forneth und der nahegelegenen Milton of Clunie erlaubten die Ansiedlung von einer Vielzahl von Mühlen, deren Wasserräder die dringend benötigte Energie lieferte.

Die Anzahl der Mühlen, die sich 1813 in Milton of Forneth befanden, war beachtlich: es gab eine Mehlmühle, eine Leinmühle, eine Mühle speziell für Gerste, eine Zylindermühle zur Papierherstellung oder zum Mahlen von gemälzter Gerste, und eine Dreschmühle.

Für den Betrieb einer Brennerei waren in der damaligen Zeit die Mühlräder ein unverzichtbarer Bestandteil in den Highlands.

Zudem verfügte die Wester-Milton-Farm über  einen kleinen Obstbaumbestand und einen kleinen Wald zur Holzgewinnung. Eine Farm musste damals weitestgehend autark sein. Die Obstbäume und das Waldstück sind in der Karte von 1868 noch immer vorhanden.

Auch wenn 38 Gallonen auf den ersten Blick wenig erscheinen mag, so sollten wir uns nicht täuschen lassen: die Brennblase wurde während der winterlichen Destillations-Saison oft Tag und Nacht betrieben, der Ausstoß war dementsprechend beachtlich.

Der Aufschwung der Branche nach 1823 hat Andrew Bullions leider nicht mehr geholfen. Die Krisenjahre zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit ihren Missernten und Brenn-Verboten für Getreide hatten seine finanziellen Reserven offensichtlich zu sehr erschöpft.



Lage: auf halber Strecke zwischen Dunkeld und Blairgowrie, jeweils etwa 6 Meilen von den beiden Ortschaften entfernt, bei Forneth, am Nordufer des Lunan Burn.

alternative Schreibweisen: Wester Milnton, Wester Milntown, Wester Milton

Brennblase: eine / 38 Gallonen

Gegründet: genaues Datum nicht bekannt. Möglicherweise bereits vor 1795. War viele Jahre im Betrieb.

Besitzer (nachweislich Oktober 1813 - Juli 1815):  Andrew Bullions. Danach wahrscheinlich stillgelegt.

Wird fälschlicherweise oft mit der nicht weit entfernten Claypots Distillery von Alexander Bullions verwechselt (1817-1821).


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